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Januar – Februar: Retrospektive und Planung der neuen Bienensaison

Von André Wermelinger, Geschäftsführer FreeTheBees

Normalerweise liegen grössere Teile des Januars und Februars in Kälte unter einer Schneedecke. Die Natur ruht, der allgemeine Lärm ist durch den Schnee gedämpft, die Sonne scheint, wenn überhaupt, nur kurz, wärmen tut sie noch kaum. Auch wir Menschen spüren diese Einflüsse und sind oft nicht gleich leistungsfähig, wie in anderen Jahresabschnitten. Mir erscheint der Jahresübergang und der Jahresanfang als die optimale Zeit für eine Introspektion, Retrospektion und Vorausplanung aufs kommende Jahr. Nebenbei bemerkt beginnt das «natürliche» und seit Urzeiten zelebrierte neue Jahr mit der Wintersonnenwende rund um den 21. Dezember, nicht mit «künstlich» geschaffenen Feiern wie unserem erst in 1582 eingeführten gregorianischen Jahresanfang. Genügend Zeit also, sich ausgiebig zurückzubesinnen, die Lehren zu ziehen und nach vorne zu schauen.  

Imkerdilemma: Behandeln oder nicht, das ist hier die Frage

Warum betone ich das und steige mit diesen philosophischen Gedanken in den Bienenhaltungskalender ein? Gegen Ende jedes Sommers und in jedem Herbst erhalte ich verzweifelte E-Mails und Anrufe von Imkern: Hilfe, ich habe nicht oder nur sanft (naturnah) behandelt, jetzt fallen Milben, muss ich jetzt trotzdem Ameisen- und Oxalsäure einsetzen? Für mich ein Zeugnis von fehlender Strategie und Klarheit über die Konsequenzen des eigenen Handelns. Eine Art Vermischung unterschiedlichster Methoden und Ansichten. Vermischt man die Methoden, kann man später rein gar keine Aussage zum Resultat treffen treffen: War jetzt der ursprüngliche Ansatz zielführend oder wäre der konventionelle Ansatz vielversprechender gewesen? Oft werden hier unterschiedlichste Methoden hoffnungslos miteinander vermischt, die Resultate sind ungünstig, der Frustrationspegel hoch, der Lerneffekt strebt gegen Null.  

Wer mich kennt und bei mir in der Ausbildung war, kennt einen meiner Leitsprüche: «Glaube niemandem, glaube nichts, glaube auch mir nicht und wichtig, glaube insbesondere nicht Dir selbst!». Unser Gehirn ist eine Fälscherwerkstatt, die uns alles Mögliche vormacht und insbesondere jene Dinge gerne entgegennimmt, die ins eigene Weltbild passen. Ich glaube an ausgiebige Recherchen, klare Zieldefinitionen, Strategien und Taktiken, deren Wirkung rückblickend gemessen wird. Nur Theorien, die ich selbst verifizieren konnte, schenke ich wirklichen Glauben. Richtig recherchiert, konsequent angewendet und bis zum Schluss konsistent durchgezogen, erlaubt mir das, von Jahr zu Jahr verhältnismässig schnell lernen zu können.  

Wenn ich nun also beschliesse, meine Bienenvölker behandlungsfrei zu halten, nicht behandeln zu wollen und in der Folge den Start in die neue Saison auch behandlungsfrei durchziehe (die Zeit rund ums Schwärmen mit der Brutpause wäre ja DER optimale Zeitpunkt für eine Behandlung), dann weiche ich nicht Ende Sommer oder im Frühherbst vom Plan ab, weil mir das Herz in die Hosen fällt. Ich nehme in aller Ruhe meine Notizen vom Jahresübergang zur Hand, reflektiere meine Ziele und Strategien, relativere die aktuelle Situation, trinke Tee oder einen guten Cognac und entscheide dann, ob es wirklich sinnvoll ist, zu diesem Zeitpunkt meinen Jahresplan zu beerdigen und kurz vor der Zielgeraden dann doch noch die Strategie zu ändern, nur weil mich meine Emotionen eingeholt haben. Und in der Regel weiss ich dann nach diesem Sturm im Wasserglas, dass ich mich besser ruhig verhalte, keine vorschnellen Aktionen einleite und weiterbeobachte.  

Von der Theorie zur Praxis: Imkern mit System und Verstand

Die imkerliche Basis für diese erwähnte Retrospektive und Strategiebildung bildet immer die FreeTheBees Imkermethodik. Sie gibt mir einen klaren und evidenzbasierten Überblick und viel Halt. Ich setze meine Imkerziele anhand der in unseren frei verfügbaren Kursunterlagen (https://freethebees.ch/wp-content/uploads/2022/02/2022_01_22_Einfuehrung-in-die-naturnahe-Bienenhaltung_final_pdf.pdf, Seite 32ff). Welche persönlichen Ziele will ich erreichen? Geht es mir um Honig, Bestäubungsleistung, Bienenvermehrung oder Artenschutz? Welcher Verantwortung gegenüber Bienen und Natur will ich mich annehmen (Angepasstheit, natürliche Selektion, etc.)? Welche Rahmenbedingungen herrschen aktuell in meiner Umgebung (bspw. Rassenschutzgebiet, Brutkrankheiten, zu hohe Bienendichte, etc.). Daraus ergeben sich verhältnismässig klar die für mich geeigneten Imkermethoden unter Zuhilfenahme der FTB Imkermethodik (https://freethebees.ch/imkermethoden/). Und erst daraus leite ich dann das geeignete Material wie beispielsweise Bienenkasten oder naturnahes Bienenhabitat ab. 

Auf dieser Analyse basierend bleibt mit dann genügend Zeit, um mit meinem Material bis Mitte April bereitzustehen. Ich weiss, was ich benötige und kann dieses Material einkaufen oder selber herstellen. Und ich kann mich vorbereiten, indem ich meine Bienenstände anpasse, mir überlege, wie ich zu den benötigten Bienenvölkern komme und wer mir dabei helfen kann.  

Ich rate allen Personen, sich die gemachten Reflektionen schriftlich festzuhalten. Wir Menschen vergessen schnell, insbesondere unter emotionalen Einflüssen und unter der operativen Hektik.

Transformation in der Imkerei: Persönliche Einblicke und methodische Evolution

Ich habe mir über Jahre immer und immer wieder die wichtigsten Erkenntnisse und was ich im neuen Jahr berücksichtigen will, auf einem A4 zusammengestellt und dieses an die Wand meines Büros geheftet. So, dass ich gemerkt habe, wenn ich vom eigentlichen Kurs abkam. Und dann in exakt diesem Moment reflektieren konnte, ob eine strategische Kursänderung wirklich sinnvoll und angebracht wäre, und nicht die gesetzten Ziele vom ganzen Jahr zerstören würden.  

Genau diesen «Jahresplan» habe ich dann jeweils zwischen Weihnachten und Neujahr hervorgenommen, eine Zeit, die ich schätze, weil ich sie normalerweise etwas ruhiger angehe. Und dann wiederum retrospektiv anhand der obgenannten Zieldefinition und Imkermethodik reflektiert. Was ist gut gelaufen? Wo waren die Herausforderungen? Welche Fehler habe ich gemacht? Was genau waren die erzielten Resultate? Und wie möchte ich im Folgejahr weiterfahren? Oft habe ich nur geringfügige Anpassungen gemacht und bin weitgehend ähnlich weitergefahren. Über die Jahre hat sich meine Imkerpraxis aber doch erheblich verändert. Nicht sprunghaft, nicht unreflektiert und nicht ohne Bewusstsein, sondern eher in Form einer kontinuierlichen Transformation und Entwicklung, basierend auf meinem zunehmenden Wissen und meiner Erfahrung. 

Nachdem ich mir zunächst praktisches Wissen aneignen musste, verlagerten sich meine Ziele auf die Beweiserbringung, dass ich unter naturnahen Gegebenheiten ohne den Einsatz von organischen Säuren mit unterdurchschnittlichen Verlusten imkern kann. Nach diesen erfolgreich erbrachten Zielen folgte eine viel zu steile Kursänderung, die sich im Nachhinein als Fehler zeigte. Ich entschied, nicht nur nicht mehr zu behandeln, sondern auch gleich auf die Fütterung zu verzichten. Das Resultat war ein Komplettverlust, der mich gänzlich an den Anfang zurückwarf. Ich habe das gerade eben Fehler genannt, aber war es das wirklich? Ich habe dabei enorm viel gelernt, was heute ein wichtiger methodischer Teil von FreeTheBees repräsentiert. Manche Fehler sind notwendig, um zu lernen. Nach dem «Fehler» weiss man. Und danach folgten verschiedene kleinere Anpassungen, die Korrektur der bisherigen Fütter-Strategie, diverse Anpassungen und Versuche mit unterschiedlichen Habitaten, der eingehendere Vergleiche unterschiedlicher Bienenstände, etc. Mein Aufwand senkte sich, ich war entspannter und lasse dem Lauf der Dinge viel mehr Raum und Zeit. Schliesslich will ich ja auch nicht meine ganze verfügbare Zeit in meine Bienen stecken, – und noch viel weniger in die Produktion von Honig – sondern über die Bienenhaltung mein Fachwissen vergrössern und aufrechterhalten, damit ich FreeTheBees voranbringen und den Bienen eine Stimme in der Gesellschaft geben kann. Mein höchstpersönliches Ziel, das nicht ebenso Ihres sein muss.  

Ich freue mich, Ihnen ab März fachspezifischere und konkretere Inhalte zu meinem Umgang mit den Bienen im Jahresverlauf weitergeben zu können.  

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Frühere Beiträge des Imkerkalenders finden Sie hier:

  • Januar – Februar: Retrospektive und Planung der neuen Bienensaison

  • März: Vorbereitung der neuen Bienensaison und Sicherstellen der Futterversorgung

  • April: Start in die Bienensaison

  • Mai: Wonnemonat für Bienen und Imker! 

  • Juni: Trachtlücke und Verschnaufpause

  • Juli: Keine Bienenbehandlung ohne vorherige Befallsmessung

  • August: Wie beeinflussen Standort und Bedingungen die Gesundheit der Bienenvölker im Hochsommer?

  • Imkerkalender September: Herbstgedanken und Jahresrückblick eines naturnahen Imkers

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