Interview mit Hartmut Jungius
Hartmut Jungius ist wissenschaftlicher Beirat von FREETHEBEES, Biologe, Geograf sowie weltweiter Natur- und Umweltschützer
FTB: Du bist nicht nur der Mann, der die Zeidlerei wieder zu- rück nach Mitteleuropa gebracht hat, son- dern du hast weltweit in unzähligen Ländern für den Arten- und Umweltschutz gearbeitet. Stand für dich schon im Kindesalter fest, dass du in diesem Bereich arbeiten möchtest? Hattest du ein Vorbild oder einen Schlüsselmoment?
Ich wuchs in Niedersachsen in einem kleinen Dorf sehr naturverbunden auf. Und dieses Interesse für die Natur hat sich auch in der Schule und im Studium manifestiert. Meine Studienfächer waren Biologie, Geografie und Sport mit dem Schwerpunkt Zoologie. Eines Tages ging ich in den Zoo Hannover, wo ich oft als Praktikant gearbeitet habe. Dort wurden noch Tiere direkt aus Afrika reingebracht, was es heute schon längst nicht mehr gibt. Es war für mich ein grosses Abenteuer das zu sehen: Antilopen, Zebras und Affen frisch aus Afrika. Ich führte Gespräche mit den Tierfängern und beschloss, dass ich auch unbedingt nach Afrika wollte, in einen Nationalpark wo ich mit Antilopen arbeiten kann. Dieser Wunsch war nur unter der Voraussetzung einer Promovierung möglich, also setze ich das um. Ich kam tatsächlich in den Krüger Nationalpark und habe dort unglaublich viel gelernt über Nationalparks und Umweltschutz. Dieses Bündel an Erfahrungen konnte ich dann noch weiter vertiefen während eines dreimonatigen Aufenthaltes in Kanada und den USA, wo ich viele Nationalparks kennenlernte. Danach stand für mich fest: Ich gehe in den Naturschutz.
FTB: Du hast dich in den verschiedensten Ländern engagiert: Bolivien (Schutz der Vikunjas), Kanada, USA, Südamerika, Europa, Oman (Wiedereinbürgerung der Arabischen Oryx), China, Kasachstan (Tiger), Mongolei (Saiga), Russland, Jordanien, Saudi-Arabien u.v.m. Was sind deine wichtigsten Erkenntnisse aus dieser globalen Tier- und Umweltschutzarbeit gewesen? Gibt es Gemeinsamkeiten? Was sind deiner Meinung nach Erfolgsfaktoren für erfolgreichen Umwelt- und Artenschutz?
Das allerwichtigste ist, dass Lebensräume und Schutzgebiete erhalten bleiben. Denn wenn der Lebensraum da ist, kann man auch Tiere, die in der freien Wildbahn ausgestorben sind, wieder zurückbringen, natürlich nur unter der Voraussetzung, dass die Faktoren, die zum Aussterben führten, beseitigt werden konnten.
Als zweiter Punkt ist es wichtig, dass man eine Strategie mit einem Plan entwickelt und die Fragen beantwortet «Wie will ich eine Art schützen? Und wie will ich den Lebensraum schützen?»
Als nächstes braucht es Geld, meistens viel Geld und eine gute Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Behörden und der örtlichen Bevölkerung.
Und als letzten Punkt möchte ich den ganz langen Atem nennen. Denn es hat keinen Zweck Projekte für ein bis zwei Jahre zu planen, denn es braucht oftmals mindestens zehn Jahre oder noch länger. Es gibt zahlreiche Projekte, aus denen man sich nie zurückziehen kann, wenn es einem wirklich wichtig ist, dass die Art, ein Schutzgebiet oder ein bestimmter Lebensraum erhalten bleibt.
FTB: Wie beurteilst du allgemein die aktuelle Naturschutzlage in der Schweiz? Wo sind wir bereits gut im internationalen Vergleich und wo siehst du dringenden Handlungsbedarf?
Die Schweiz war schon früh führend im europäischen Tierschutz. Der Anstoss kam, soweit ich das weiss, aus Basel vor allem von Universitätspro-
fessoren. Aber das Interessante ist: auch von an Naturschutz interessierten Industriellen, die begangen Naturschutzprojekte zu fördern. Dazu gehörte vor allem der Schweizer Naturschutzbund. Der wurde recht früh gegründet und verfügte bereits sehr früh über Schutzgebiete, die er selbst bewirtschaftete.
Die zweite Sache, die auch sehr wichtig ist und wo die Schweiz Vorreiter in Europa war, ist die Gründung des Schweizer Nationalparks ist einer der ersten Nationalparke Europas, wenn nicht sogar weltweit. Darauf kann die Schweiz sehr stolz sein. Wenn wir uns jetzt die dicht bewaldeten Hänge des Jura hinter mir anschauen: auch die Schweizer Forstwirtschaft war wirklich wegweisend im Schutz von Bergwäldern und bei der Einrichtung von Bannwäldern. Die Schweizer Forstwirtschaft hat dadurch viele positive Signale an andere Forstwirtschaften in Europa gesendet.
Wo ist die Schweiz nicht so gut? Da sieht’s in der Schweiz nicht anders aus als im restlichen Europa: in der Landwirtschaft. Die Schweizer Landwirtschaft ist viel zu intensiv, da brauchen wir nur ausserhalb meines Gartens die Maishöcker zu sehen. Das Gift das gespritzt wird und die Wegränder zu sehen, wo so gut wie kein Blümchen mehr wächst schmerzt sehr. Als ich vor 30 Jahren herkam, sah es hier noch ganz anders aus. Da ist dringender Handlungsbedarf, aber nicht nur in der Schweiz.
Eine nachhaltige Landwirtschaft wäre zudem noch wichtig. Das bedeutet man soll mehr Förderungen bereitstellen und an die Bauern geben, damit sie nicht dafür bezahlt werden, was sie an Masse auf den Markt bringen, sondern wie sie die Landschaft pflegen. Für die Landschaftspflege sollte der Bauer auch entschädigt werden. Das macht man bei den Bergbauern bereits, aber man sollte es auch in anderen Gebieten machen.
Aber wie gesagt: Das ist nicht nur für die Schweiz gültig, sondern eigentlich für die gesamte EU.
FTB: Du hast dein ganzes Leben in den größten internationalen Naturund Umweltschutzorganisationen wie dem WWF, der UNESCO und der IUCN gearbeitet. Warum hast du dich entschieden unseren kleinen Schweizer Verein FREETHEBEES zu unterstützen?
Das hängt mit meiner Begeisterung für die Zeidlerei oder Waldbienenzucht zusammen. Mit der Zeidlerei kam ich im Rahmen eines WWF Projektes im russischen Ural erstmalig in Kontakt. Und zwar war ich so begeistert und zutiefst beeindruckt, dass dort Imker als Ranger arbeiteten und Waldbienenzucht betrieben. Zeidlerei bedeutet die Bewirtschaftung von freilebenden Völkern der Honigbiene. Der Imker, oder besser gesagt der Zeidler, schlägt in einem geeigneten Baum eine Baumhöhle. Diese Baumhöhle wird verschlossen, allerdings lässt man ein kleines Flugloch, damit Bienen sich dort ansiedeln können. Einmal im Jahr klettert der Zeidler hoch zur Baumhöhle, um dort einen Teil des Honigs für den eigenen Gebrauch zu entnehmen. Den Rest überlässt er den Bienen.Das ist eine ganz alte Form der Wildbienennutzung, die bis ins 18. Jahrhundert in Ost- und Mitteleuropa weit verbreitet war, vor allem in den slawischen Ländern. Ich war von dieser unglaublich alten Kulturform so hellauf begeistert, dass ich mit meinem polnischen Freund Przemek Nawrocki zusammen überlegt habe, wie wir das wieder nach Europa zurückbringen und ansiedeln können. Dazu gehören bestimmte alte Techniken, aber auch eine bestimmte Form des Waldmanagements: man braucht artenreiche Mischwälder mit Lichtungen, Feuchtgebieten und natürlich alten Bäumen.
Und dann las meine Frau in einer Zeitschrift einen Bericht über FREETHEBEES. Sie sagte: «Hartmut schau mal, ist das nicht etwas für dich?» Und ich sagte: «Das ist DIE Organisation!». Sie wird sich für Zeidlerei interessieren: es geht um freilebende Bienen, es geht um Natur und artengerechte, nachhaltige Bienenhaltung. Dann habe ich den Gründer André Wermelinger angerufen. Er war sofort begeistert und sagte: «Hartmut, das machen wir!» So kam ich zu FREETHEBEES. Über die Zeidlerei.
FTB: Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Hebel und notwendigen Schritte um in der Schweiz den wildlebenden Honigbienen wieder zu ermöglichen ohne menschliche Eingriffe mit den Umweltbedingungen zurechtkommen?
Als allererstes brauchen wir naturnahe und reich strukturierte Mischwälder. Reich strukturiert bedeutet: das wir verschiedene Lebensräume in diesen Mischwäldern haben müssen. Dazu gehören Lichtungen und Feuchtgebiete, damit eine Vielfalt von Nahrungspflanzen für die Bienen da ist. Zudem ist es ganz wichtig, dass wir die rechtliche Grundlage haben, die es Naturschützern erlaubt freilebende Bienen in die Wälder zurückzubringen. Das besteht im Augenblick nicht. Wir dürfen Vogelkästen aufstellen, als Bruthilfe für die Vögel, wir dürfen aber keine Bienenkästen aufstellen oder Baumhöhlen schlagen damit dort sich die Honigbiene ansiedeln kann.
Es braucht die Bereitschaft von Forstleuten und von Imkern dieses Vorhaben zu unterstützen. Ich kann nur sagen: Schaut nach Polen, dort machen es uns die Menschen vor. Es klappt dort sehr gut in aus genau diesen Gründen: die Bereitschaft der Forstleuten und den Imkern.
Es wird einem Forstmann sicher immer wehtun, wenn er eine herrliche alte Eiche, Kiefer oder Fichte sieht und da soll eine Baumhöhle reingeschlagen werden. Aber das braucht es. Und im Übrigen: die Baumhöhlen schädigen den Bäumen überhaupt nicht, der Baum kann weiterhin gedeihen und hunderte Jahre alte werden, mit den Baumhöhlen. Das sieht man zum Beispiel in Polen, wo man vor allem viele Eichen sieht die immer noch stehen und wo vor hundert Jahren Baumhöhlen reingeschlagen wurden.
FTB: Was machen wir bei FREETHEBEES bereits gut als Verein und was können wir noch verbessern?
FREETHEBEES hat eine hohe Fachkompetenz und Glaubwürdigkeit, verfügt über engagierte und charismatische Mitarbeiter und hat ein starkes strategisches Vorgehen, welches somit die Grundlage bildet für erfolgreiches Arbeiten.
Was noch verbesserungswürdig ist: Fundraising. FREETHEBEES braucht unbedingt mehr Geld und Öffentlichkeitsarbeit.
1 Das Vikunja (Vicugna vicugna) oder Vicuña (Quechua: wik‘uña) ist neben dem Alpaka eine der beiden Arten der Gattung Vicugna und gehört zur Familie der Kamele.
Quelle
2 Die Oryxantilopen (Oryx) sind eine Gattung aus der Unterfamilie der Pferdeböcke (Hippotraginae). Die Arten dieser Gattung verteilten sich ursprünglich über alle trockenen und halbtrockenen Gebiete Afrikas sowie der Arabischen Halbinsel.
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