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Das hochperformante Immunsystem des Biens

Honey Bee (Apis mellifera) defensive position, fend off a hornet (Vespa crabro) attack, Germany
Foto von Ingo Arndt

BEES – FOKUS

Das hochperformante Immunsystem des Biens

Von André Wermelinger

Die ganze Welt wird aktuell beherrscht von einem weitestehend monokausalen Diskurs über Krankheiten und deren Eindämmung. Unsere Furcht vor Viren, Bakterien, Parasiten und Pilzsporen war wohl kaum je grösser. Höchste Zeit, den Diskurs zu öffnen und den Fokus auch auf das völlig untervertretene Immunsystem zu legen. Wir gehen mit diesem Beitrag auf das hoch performante und mehrstufige Immunsystem eines Bienenvolkes ein und zeigen auf, wie man dem Bien zu einer intakten Abwehrkraft verhilft.

Viren, Bakterien, Parasiten, Pilze: Sie alle waren schon auf der Erde, lange bevor es den Menschen gab. Ihre Anzahl ist riesig. Es scheint keinen cm2 auf Erden zu geben, der nicht von Pilzsporen besiedelt ist. Noch viel erschreckender: Unser ganzer Körper ist äusserlich und innen von Bakterien sozusagen besessen. Viele Stoffwechselabläufe funktionieren ohne sie nicht mal richtig. Und wenn wir den Menschen mitsamt der «Fremdwesen» als Superorganismus betrachten, ist sogar der Grossteil unseres Genmaterials nicht menschlich, sondern durch Bakterien dominiert. Und trotzdem haben wir Angst, wegen äusserer Einflüsse krank zu werden. Der aktuelle Diskurs in den Medien, Fachzeitschriften und Tagesgesprächen zeigt klar und unmissverständlich, dass die Stärkung des Immunsystems ein Schattendasein führt. Man führt einen nicht zu gewinnenden Kampf gegen einen kleinen, unsichtbaren Feind, anstatt das Immunsystem zu stärken.

Imker fürchten um die Gesundheit ihrer Bienen insbesondere der Varroamilbe, eines Parasiten wegen. Darauf folgt umgehend die Angst vor der bakteriell verursachten Sauerbrut (Europ. Faulbrut). Man kontrolliert, bekämpft, desinfiziert, was das Zeugs hält. Schaut man ausnahmsweise unter Absenz der eigenen Emotionen und ohne Partikularinteressen auf natürlich lebende Bienenvölker, wird man nachdenklich und demütig. Sie überleben auch ohne unseren Kontroll- und Behandlungszwang, im hohlen Baum, ganz allein, obwohl der fürchterlich wilden und grobschlächtigen Natur ausgesetzt! Wie ist das möglich?

Evans Jay D., Spivak M. (2020) analysieren in ihrer Studie Socialized medicine: Individual and communal disease barriers in honey bees das hochinteressante Immunsystem von Honigbienen. Der Titel nimmt den gewichtigen Inhalt bereits vorweg: Sozialisierte Medizin auf individueller und volksbasierter Ebene. Sie sprechen von einer physiologischen, immunologischen und verhaltensorientierten Reaktion der Bienen auf Krankheitserreger und Parasiten, welche das Krankheitsrisiko verringern. Was sich komplex anhört, wird in der Visualisierung schnell klarer (Abbildung 1).

Abwehrniveaus in Honigbienenvölkern
Abbildung 1: Abwehrniveaus in Honigbienenvölkern aus: (a) individueller Abwehr, (b) paarweiser Abwehr einschließlich Grooming, (c) Bienenvolk-Abwehr wie Aufgabendifferenzierung, (d) Minimierung des Eindringens von infektiösen Erregern und (e) Verwendung von Harzen und anderen Umweltstoffen bei der Bienenvolkabschirmung.

Das Bienenvolk hat also ein mehrstufiges Abwehrsystem, das folgendermassen aufgebaut ist:

  1. Auf der innersten Stufe kann eine einzelne Biene sich gegen äussere Einflüsse zur Wehr setzen. Beispielsweise mechanisch, dank ihrer Cuticula (Haut), die aus Chitin besteht. Oder auch physiologisch, indem sie im Insektendarm den PH-Wert verändert. Das einzelne Individuum besitzt auch ein eigenetliches Immunsystem auf individueller Stufe.
  2. Bei der paarweisen Abwehr können sich einzelne Individuen zusammenschliessen und sich gemeinsam zur Wehr setzen. Wir kennen das vom sogenannten Grooming (übersetzt: Putzen, Fellpflege), wobei eine Biene die andere von Parasiten – auch von der Varroamilbe – befreien kann. Zu Abwehrstufe (b) gehört auch die Reinigung des Habitates, oder das bekannte gemeinsame Überhitzen von Feinden wie einer sonst nicht bekämpfbaren übergrossen Hornisse.
  3. Die Basis der volksspezifischen Abwehr liegt in einer geschickten Aufgabenteilung. So gibt es Bienen, insbesondere jüngere Bienen, welche ausschliesslich im Stock drinnen bleiben und die sensible Brut pflegen. Die älteren Bienen, welche auch ausserhalb des Stockes auf Nektar- und Pollensuche gehen, also diversen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind, werden nicht an die Brut gelassen. Diese dürfen hingegen im Brutbereich kranke Brut ausräumen und von der pathogenen Last befreien.
  4. Das Eindringen von infektiösen Erregern wird auf der Stufe (d) minimiert, wenn beispielswiese ältere und schwächelnde Bienen frühzeitig zum Sterben selbst aus dem Stock fliegen und ihren Kolleginnen nicht zur Last werden.
  5. Schliesslich folgt noch eine Art äussere Abschirmung. Zu diesem Schutzschild gehören eine Vielzahl von symbiontischen Bakterien, Spinnentiere und Milbe wie beispielsweise der Bücherskorpion und dann die immer wieder faszinierende Substanz Propolis, antibakteriellen, antiviralen, fungiziden und weiteren Eigenschaften.

Ähnlich spannend ist die Betrachtungsweise von Ehrler S, Moritz RFA (2016) in der Studie Pharmacophagy and pharmacophory: mechanisms of self-medication and disease prevention in the honeybee colony (Apis mellifera).

Abbildung 2 illustriert die Zusammenhänge, wie sich ein Honigbienenvolk selbst heilen und Krankheiten vorbeugen kann.

Repertoire an Futter- und selbst produzierten Stoffen
Abbildung 2: Repertoire an Futter- und selbst produzierten Stoffen, die von den Honigbienen nicht nur zur Selbst- und Nesthygiene, sondern auch zur antibiotischen Fütterung der Brut und anderer Nestgenossen verwendet werden. Auf dem Feld: Sekundäre Pflanzenmetaboliten mit antibiotischem Potenzial werden zwangsläufig zusammen mit Pollen und Nektar gefüttert. Propolis mit hochgradig antiviralen und antibiotischen Verbindungen wird von speziellen Sammlerinnen zur Reinhaltung von Nisthöhlen gesammelt. Im Bienenstock: Gelagerter Honig und Bienenbrot können selektiv zur Fütterung kranker und gesunder Larven und anderer Nestmitglieder verwendet werden. An der Biene: Drüsensekrete mit antibiotischer Aktivität können für die Gesundheit von Individuen und Bienenvölkern verwendet werden.

Ein Honigbienenvolk hat ein ganzes Repertoire an Stoffen, welche für die Selbstheilung, die Nesthygiene, aber auch für die Aufzucht der Brut von Wichtigkeit sind. Aus der Umwelt beispielsweise werden mit Nektar, Pollen und Harzen sekundäre Pflanzenmetaboliten mit antiviralem und antibiotischem Potential in den Stock gebracht. Die Bienen selbst produzieren Drüsensekrete mit antibiotischer Aktivität.

Gätschenberger H, Azzami K, Tautz J, Beier H (2013) zeigen sich in ihrer Studie Antibacterial Immune Competence of Honey Bees (Apis mellifera) Is Adapted to Different Life Stages and Environmental Risks erstaunt über das vollumfängliche Fehlen einer zellulären oder humoralen Abwehrreaktion von Arbeiterinnen- und Drohnenpuppen nach einer künstlichen bakteriellen Kontamination. Larven sind den Pathogenen ausgesetzt und besitzen ein Abwehrsystem. Sie werden mit Gelée Royale gefüttert, das verschiedene antimikrobielle Verbindungen enthält, darunter das bienenspezifische AMP-Defensin 1, das bakterielle und pilzliche Infektionen minimiert. Die Puppe ist in ihrer verdeckelten Wachswabenzelle weitestgehend geschützt, weshalb sie im Normalfall auch ohne Immunsystem ihr Puppenstadium gut übersteht. Interessant ist die Feststellung, dass nicht nur pathogene Bakterien, sondern auch die «guten» und «neutralen» Bakterien der Puppe gefährlich werden. Gemäss mündlicher Aussage von Prof. Dr. Jürgen Tautz ist das vollständige Fehlen einer Immunantwort bei der Bienenpuppe einzigartig in der Pilz-, Pflanzen- und Tierwelt. Die Diskussion der Studienresultate schliesst mit der Feststellung ab, dass Honigbienen keine Risiken eingehen und offenbar ein Gleichgewicht zwischen der Dringlichkeit, Abwehrreaktionen zu aktivieren, und der Machbarkeit, Energie zu sparen, gefunden haben.

Stadien der Bienenbrut
Abbildung 3: Stadien der Bienenbrut. Larven und adulte Bienen besitzen ein Immunsystem, welches der Puppe zwischenzeitlich zu fehlen scheint. Quelle: https://www.afuturewithbees.com/bee-info/8-bee-biology-and-society

Die Zusammenhänge zwischen Bienenhaltung und Immunsystem sind in etwas vereinfachter Form Integraler Bestandteil der FREETHEBEES Imkermethodik. Die Methodik unterscheidet nach inneren und äusserem Immunsystem, wie auch nach der Intaktheit der Beuten Biozönose (Artenvielfalt im Bienenhabitat), dem Habitatsklima und der Lebensleistung auf Individuums- und Volksstufe (Abbildung 4).

Tabelle Immunsystem
Abbildung 4: Das mehrstufige Immunsystem der Honigbiene als integraler Bestandteil der FREETHEBEES Imkermethodik, detaillierte Tabelle finden Sie hier auf unserer Webseite

Wie man anhand der Imkermethodik unschwer erkennt, ist neben einem nicht erwähnten Umfeld (Umweltgifte, Blütenreichtum) insbesondere das Habitat und die Haltungsmethodik ausschlaggebend für ein gut funktionierendes Immunsystem eines Bienenvolkes. So propolisieren1 Bienenvölker beispielsweise insbesondere die rauen Oberflächen in Baumhöhlen. Eine sterile Stockluft durch Johann Thür als Nestduftwärmebindung bezeichnet kann nur im optimalen Habitat und unter Bedingungen von Naturwabenbau entstehen. Unter optimalen Bedingungen hat das Bienenvolk genügend Lebensleistung, damit Bienen sich beispielsweise mittels Grooming gegenseitig von Parasiten befreien können.

Honey Bee (Apis mellifera), worker bee killing drone in late summer, Germany
Foto von Ingo Arndt

Wer das Bienenvolk in nicht artgerechten Habitaten hält, dieses mittels toter Kalorien wie Industriezucker füttert, mit dem Aufsetzen von Honigräumen am Schwärmen hindert und darüber hinaus auch noch 3-4x jährlich Ameisen- und Oxalsäuren einsetzt, muss sich nicht wundern, wenn das Bienenvolk sämtliche Immunleistung verliert und sich nicht länger gegen Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten schützen kann. Nicht Pathogene sind unser Hauptproblem, diese waren immer da und werden immer und überall da sein. Die Ursache der kranken Bienenvölker liegt im Unverständnis von multikausalen Zusammenhängen. Bienen in ihrem angestammten Habitat und in einem intakten Ökosystem können mit äusseren Einflüssen umgehen. Das bezeugen auch Hinshaw C, Evans KC, Rosa C and López-uribe MM (2020), in The role of pathogen dynamics and immune gene expression in the survival of feral honey bees. Sie zeigen auf, dass bewirtschaftete Honigbienenvölker in Abwesenheit von Krankheitsbehandlungen eine geringe Überlebenswahrscheinlichkeit haben, während verwilderte Bienenvölker in der Regel in der freien Natur überleben. Auf den höheren Erregerdruck reagiert das Bienenvolk mit einer höheren Immunantwort.

Evans, Jay & Spivak, Marla. (2009). Evans JD, Spivak M. Socialized medicine: Individual and communal disease barriers in honey bees. Journal of Invertebrate Pathology. Journal of invertebrate pathology. 103 Suppl 1. S62-72. 10.1016/j.jip.2009.06.019.

Erler, S., Moritz, R.F.A. Pharmacophagy and pharmacophory: mechanisms of self-medication and disease prevention in the honeybee colony (Apis mellifera). Apidologie 47, 389–411 (2016). https://doi.org/10.1007/s13592-015-0400-z

Gätschenberger H, Azzami K, Tautz J, Beier H (2013) Antibacterial Immune Competence of Honey Bees (Apis mellifera) Is Adapted to Different Life Stages and Environmental Risks. PLoS ONE 8(6): e66415. doi:10.1371/journal.pone.0066415 FREETHEBEES Imkermethodik, https://freethebees.ch/Imkermethoden/

Hinshaw C, Evans KC, Rosa C and López-uribe MM(2020) The role of pathogen dynamics and immune gene expression in the survival of feral honey bees. Front. Ecol. Evol. 8:505. doi:10.3389/fevo.2020.594263

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