Text und Fotos von Ante Hamersmit

Der November ist die Zeit des Loslassens. Die Bäume haben ihre Blätter abgeworfen, die Natur zieht sich zurück, und auch die Bienen kuscheln sich enger zusammen. Für mich als Imker bedeutet dieser Monat: Vertrauen. Vertrauen darauf, dass die Vorbereitung gut war. Dass die Völker stark genug sind. Dass sie mit dem auskommen, was sie haben.
Und genau hier liegt eine Erkenntnis, die mich dieses Jahr besonders beschäftigt hat: Weniger ist oft mehr. Nicht nur philosophisch gesprochen, sondern ganz konkret messbar.
Die Mathematik der Wärme
Statistisch gesehen ist neben einem Varroaschaden eine der Hauptursachen für das Sterben von Bienen im Winter, dass ihnen das Futter ausgeht. Die gängige Empfehlung lautet: 20 Kilogramm Winterfutter pro Volk. Meine Völker haben nicht einmal die Hälfte – und kommen sogar noch mit Reserven aus dem Winter.
Wie das funktioniert? Isolation. Die meisten Bienenkästen sind leicht, handlich und transportabel. Aber sie sind alles andere als gut isoliert. Je kälter es draußen wird, desto mehr Honig verbrauchen die Bienen, um die Temperatur in der Wintertraube zu halten. Das ist simple Physik. Und genau hier setze ich an.
Ich arbeite mit Korkplatten aus der Terraristik. Sie sind leicht, lassen sich schnell zuschneiden, und schon eine zwei Zentimeter dicke Korkplatte verdreifacht fast die Isolation der Beutenwand. Das Ergebnis: Die Bienen müssen deutlich weniger Energie aufwenden, um warm zu bleiben. Sie verbrauchen weniger Futter, kommen entspannter durch den Winter – und ich spare nicht nur Geld beim Zufüttern, sondern erhöhe auch ihre Überlebenschancen.
Ein Hinweis aus Erfahrung: Der Kork sollte außen angebracht werden. Die Bienen lieben es nämlich, organisches Material wegzuhobeln. Glaubt mir, am Ende habt ihr sonst alles in euren Waben. Kein Hexenwerk – aber ein kleiner Unterschied, der Großes bewirkt.
Es ist diese Art von Einfachheit, die mich immer mehr fasziniert. Nicht die komplizierteste Lösung gewinnt, sondern die, die im Einklang mit der Natur funktioniert. Die Bienen zeigen es uns jeden Tag: Mit weniger geht es besser, wenn das Wenige klug eingesetzt wird.

Warre Beute mit Korkplatte zusätzlich isoliert neben einer leeren, nicht-isolierten Warre Beute

Zwei Einraumbeuten mit 4 cm Korkplatten isoliert

Lüneburger Stülper brauchen keine zusätzliche Isolation, da Körbe durch ihre Bauweise eine um Faktor 5 höhere Isolation haben als moderne Holzkasten-Beuten

Weißenseifener Hängekorb ohne Zusatzisolation, weil das Stroh eine bereits hohe Isolation bietet
Was Unternehmen von Bienen lernen können (oder sollen)
Während meine Völker sich auf den Winter vorbereiten, beschäftigt mich eine Frage, die ich lange Zeit nicht laut ausgesprochen hätte:
Warum trifft ein Bienenvolk mit 50.000 Individuen und sesamkorngroßen Gehirnen bessere Entscheidungen als die meisten Unternehmen?
Fast zwei Jahrzehnte habe ich in der Corporate-Welt verbracht. Als Ingenieur, Stratege, Manager, Speaker. Ich saß in unzähligen Meetings, erlebte dysfunktionale Prozesse, lähmende Entscheidungswege und tödliche Egoismen. Und nein, das war nicht nur mein Unternehmen. Es war überall. Bei jedem, mit dem ich sprach.
Umso mehr ich aber in das Wirken meiner Bienen eingetaucht bin, desto klarer wurde mir: Die Parallelen sind verblüffend – aber die Unterschiede sind erhellend.
Führung ohne Chef
Die meisten Unternehmen versuchen in Krisen, alles zu kontrollieren. Die Pyramide wird steiler, die Kontrolle enger, das Mikromanagement intensiver. Das Ergebnis? Lähmung. Ich habe es live miterlebt: Teams, die plötzlich nicht mehr entscheiden dürfen. Manager, die panisch werden. Innovationen, die sterben, weil jeder wartet, dass der Chef etwas sagt.
Ein Bienenvolk funktioniert komplett anders. Die Königin trifft keine Entscheidungen. Sie managt niemanden. Ihr Haupt-Job ist es, Eier zu legen. Führung ist verteilt. Und das ist nicht nur nett gemeint – das ist überlebenskritisch.
Junge Bienen starten als Putzbienen, werden zu Ammenbienen, dann Baubienen, Wächterbienen und schließlich Sammelbienen. Der gefährlichste Job kommt immer zum Schluss. Rollen basieren auf Alter, Fähigkeiten und vor allem auf dem Bedarf des Volkes. Wenn plötzlich die Hälfte der Sammlerinnen ausfällt, springen andere Bienen sofort ein. Automatisch. Ohne Abstimmung mit der Königin. Ohne Strategiemeeting. Ohne Organigramm-Update.
Das Volk reagiert in Minuten auf existenzielle Bedrohungen. Fortune-500-Unternehmen brauchen im Schnitt 18 Monate für einen solchen Pivot. Wer überlebt wohl eher eine plötzliche Krise?
Entscheidungen, die zählen
Wie läuft es in den meisten Unternehmen? Eine Idee geht ins Meeting, dann ins nächste Meeting. Jemandes Ego wird verletzt, die Rechtsabteilung prüft, es stirbt drei Wochen in jemandes Posteingang. Monate verschwendet. Millionen verbrannt. Endlose Diskussionen ohne Ergebnis – weil jeder Angst hat, einen Fehler zu machen oder jemanden zu verärgern.
Bienen haben das vor 100 Millionen Jahren mit dem Schwänzeltanz gelöst. Es ist egal, von wem das initiale Signal kam. Was am stärksten betanzt wird – die beste Option – gewinnt. Keine PowerPoint-Präsentation, keine Politik, kein Schönreden. Die beste Option gewinnt. Punkt.
Wenn dein Volk am Verhungern ist, kannst du dir keine schlechte Entscheidung leisten. Deshalb erreichen Bienen 80 – 90% Entscheidungsgenauigkeit. Und Unternehmen? Wenn sie Glück haben, schaffen sie 50%.
Gemeinschaft statt Egoismus
Was ich in meinen zwei Jahrzehnten im Business am meisten gesehen habe, ist Egoismus. Gerade in Krisen. Jeder denkt an sich. Jeder sichert seine Position ab. Abteilungen kämpfen gegeneinander. Die Besten springen ab. Das Schiff versinkt, während alle um die Rettungsboote kämpfen.
Bienen? Das komplette Gegenteil. Jede Biene weiß genau, warum sie existiert und wie sie beiträgt – auch und gerade in der Krise. Eine Sammlerin erledigt nicht einfach “nur” ihren Job. Sie hält 50.000 Bienen am Leben. Eine Wächterin sticht nicht zu, um zu sterben. Sie verteidigt ihr Volk. Und wenn es hart wird, wird die Gemeinschaft stärker, nicht schwächer.
Und hier kommt der Teil, der mich jedes Mal emotional werden lässt: Wenn eine Hungersnot kommt, wenn es wirklich dem Ende nahe ist, dann stirbt das ganze Volk gleichzeitig. Weil das letzte Futter bis zum bitteren Ende geteilt wird. Jede einzelne Biene bekommt ihren Anteil. Keine Führungskraft, die sich zuerst bedient. Keine Privilegien. Keine wichtigeren Bienen.
Das Volk überlebt gemeinsam oder stirbt gemeinsam. Und das ist keine Romantik. Das ist evolutionäre Mathematik. Langfristig überlebt nur die Gemeinschaft, nicht der Einzelkämpfer.
Die Zeitleiste der Demut
Auf einer Zeitleiste von einem Meter repräsentieren 100 Millionen Jahre Bienenevolution. Die gesamte Menschheit ist auf den letzten drei Millimetern dazugekommen. Und die moderne Unternehmensführung, wie wir sie kennen? Nicht mal ein Staubkorn darauf.
Wir sind extrem jung in dem, was wir tun. Absolut unerfahren. Und trotzdem laufen wir herum und denken, wir hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Vielleicht, nur vielleicht sollten wir demütig genug sein, bei den Alten zu lernen. Bei denen, die es seit 100 Millionen Jahren richtig machen – seien sie noch so klein und unscheinbar.
Ausblick: Zurück zu den Wurzeln, vorwärts in der Klarheit
Dieser November markiert für mich mehr als nur den Beginn der Winterruhe für die Bienen. Es ist auch ein Moment der persönlichen Besinnung.
Je länger ich mit den Bienen arbeite, desto deutlicher spüre ich, wie sehr mich die Corporate-Welt geprägt hat – in ihren Strukturen, ihren Denkmustern, ihrer Effizienzlogik. Und ich merke, wie sehr ich mich davon lösen möchte. Nicht aus Ablehnung, sondern aus dem tiefen Wunsch heraus, mich authentisch weiterzuentwickeln.
Die Bienen haben mir gezeigt: Die besten Systeme sind die einfachsten. Die nachhaltigsten Lösungen sind die, die im Einklang mit der Natur funktionieren. Die stärksten Gemeinschaften sind die, in denen jeder weiß, wozu er beiträgt – ohne Hierarchien, die lähmend wirken.
Ich möchte meine Arbeit zunehmend in diese Richtung ausrichten. Weniger Ellenbogen, mehr Achtsamkeit. Weniger Direktive, mehr Klarheit und Vertrauen in natürliche Prozesse. Mehr Raum für das, was wirklich zählt: echte Verbindungen, sinnvolles Tun, wesensgemäßes Arbeiten – mit den Bienen und mit den Menschen.
Der Winter ist die Zeit des Innehaltens. Für die Bienen. Und für mich. Ich freue mich darauf, diese stillen Wochen zu nutzen, um Klarheit zu gewinnen. Um zu spüren, wohin die Reise gehen soll. Und um die Weichen zu stellen für ein neues Jahr, das noch mehr im Einklang mit dem steht, was mir wichtig ist.

Titelbild vom YouTube Video: Hierarchie tötet Unternehmen – Bienen leben die Alternative (seit Millionen Jahren)
Bis bald, in der Stille des Winters
Ante
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- Imkerkalender 2025 – Oktober: Urlaub – Zeit für Gedanken
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Imkerkalender 2025 – Mai: Frühlingserwachen im Bienenstock: Pollen, Brut und erste Herausforderungen
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August: Wie beeinflussen Standort und Bedingungen die Gesundheit der Bienenvölker im Hochsommer?
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