Der Totenkopfschwärmer, ein Bienenschreck?
Derzeit fliegen Totenkopfschwärmer über die Alpen nach Afrika zum Überwintern. Einige von ihnen haben sich vorher in Bienenstöcken mit Honig vollgetankt.
Bemerkenswerter Nachtfalter
Im Folgenden wird die Biologie, die Verbreitung und das Verhalten des Totenkopfschwärmers im Bienenstock kurz beleuchtet. Daraus kann gefolgert werden, dass er als Schädling kaum zu befürchten, vielmehr als Mitlebewesen voller spannender Eigenschaften zu bewundern sei.
Anzunehmen ist, dass vor langer Zeit der Bär als natürlicher Honigräuber die Bienen zum Nisten in hochgelegenen Baumhöhlen getrieben hat. Weniger bekannt ist, dass ein flugfähiger Honigliebhaber gelegentlich Bienenstöcke besucht: der Totenkopfschwärmer. Er ist dazu erstaunlich angepasst, um nicht abgestochen zu werden. Seine Flügelspannweite misst 9 – 13 cm, und hinsichtlich Körpervolumen mit einer Länge von 5 – 6 cm ist er der grösste mitteleuropäische Schmetterling (Lepidopterologen-Arbeitsgruppe 1997). Der Falter hat schwarzbraune marmorierte Vorderflügel und sein Hinterleib ist gelb und schwarzbraun geringelt. Die gelbe Zeichnung auf seinem Rücken (Brust) ähnelt einem Totenkopf, was ihm den Namen gab.
Aberglaube
Der Totenkopfschwärmer (Acherontia atropos) ist ein Schmetterling (Nachtfalter) aus der Fa- milie der Schwärmer (Sphingidae). Sein wissenschaftlicher Name geht zurück auf die Göttin. Der Totenkopfschwärmer (Acherontia atropos L.) mit dem grössten Körpervolumen aller mitteleuropäischen Schmetterlinge, seine Vorstadien als Puppe und Raupe Atropos («die Unabwendbare») in der griechischen Mythologie, von der gesagt wird, dass sie den Lebensfaden abzuschneiden vermag. Diese Schmetterlingsart ist in Nordafrika und im Mittelmeerraum beheimatet, woher sie jährlich weite Wanderungen in Richtung Norden nach Europa vollzieht. In Ägypten gilt der Falter als einer der bekanntesten Schmetterlinge, wo er «Dorfvater» genannt wird (Lepidopterologen-Arbeitsgruppe 1997).
Der Totenkopfschwärmer (Acherontia atropos L.) mit dem grössten Körpervolumen aller mitteleuropäischen Schmetterlinge,
seine Vorstadien als Puppe und Raupe
Früher konnten die Falter in unseren Breitengra- den abergläubische Bauern beim Herumschwirren im Schummerlicht der Stubenlampe erschrecken. Die Falter wurden dann manchmal an die Stalltür genagelt, um Tod und Unheil abzuhalten (Eis 2005). Der Totenkopfschwärmer galt lange Zeit als unheilbringend, wie das noch heute der verfilmte Roman «Das Schweigen der Lämmer» von Thomas Harris hochstilisiert. Bei uns zum Beispiel begegnete man 1992 beim Einnachten in San Bernardino GR unzähligen Faltern an den Unterkünften, die aus Furcht (mit Hornissen verwechselt!) von Militärrekruten zu Tode geschlagen wurden (Zeitzeuge P. Sonderegger, pers. Mitt. H.-P. Wymann). Erwiesen ist, dass der Totenkopfschwärmer keineswegs Menschenleben beeinträchtigt, nicht mal das der Honigbienen.
Vorkommen in der Schweiz
Die Verbreitung der Bienenstände in der Schweiz ist bei weitem dichter als diejenige des Nachtfalters, weshalb dieser bei den Imkern wenig bekannt ist. Wie die Fundmeldungen der letzten 150 Jahre beim nationalen Daten- und Informationszentrum für die Fauna der Schweiz (Info fauna – CSCF) zeigen, kann dieser Nachtfalter vielerorts gesehen werden.
Der nachtaktive Wanderfalter fliegt alljährlich aus seiner Heimat im tropischen Afrika und dem Mittelmeerraum nach Mitteleuropa bis nach Nordskandinavien am Polarkreis ein (Lepidopterologen-Arbeitsgruppe 1997, Weidemann & Köhler 1996). Wie bei anderen Wanderfaltern, z.B. dem Distelfalter und dem Admiral, kann es von Mai bis Juni Masseneinflüge aus dem Süden geben (wie z.B. 2003). Aber diese sind viel zu selten, um Schaden an Kulturen anrichten zu können. Selten bis nie sehen Imker Adulte (Falter) in ihren Bienenständen, auch wenn die Fundmeldungen relativ häufiger werden (Grafik links). Immerhin sind sie auf ihren Wanderungen sowohl in den Tieflagen (kolline Stufe) bis hoch in den Alpen anzutreffen (Grafik rechts). Sie werden regelmässig im September an der Beringungsstation für Zugvögel am Col de Bretolet VS auf 1900 m festgestellt.
Einzigartige Anpassung
Aber am häufigsten werden die Nachkommen der Einwanderer als wunderschöne, mehr oder weniger auffällige Raupen beim Fressen in Kartoffelfeldern und Tomatenkulturen zwischen Frühsommer bis im Herbst gesichtet. Nachtschattengewächse sind die bevorzugten Nahrungspflanzen der Raupen. Nach der Eiablage entwickelt sich die Raupe in drei bis vier Wochen auf den Pflanzen, es folgt eine Verpuppung in der Erde, worauf der Falter schlüpft und nach Möglichkeit den Rückflug in den Süden antritt (das kann bis im Dezember erfolgen, wie Fundmeldungen vor 1970 belegen). Bevor er jedoch die weite Reise antritt, versucht er sich an Pflanzensäften und Honig zu stärken.
Verteilung der rund 600 Fundmeldungen auf die Höhenstufen (Meter ü. M.).
Ausser in Appenzell Innerrhoden (AI) sind aus allen Kantonen der Schweiz Funde bei Info fauna – CSCF in den letzten 150 Jahren ab 1869 gemeldet worden.
Verteilung der rund 600 Fundmeldungen auf die Höhenstufen (Meter ü. M.). Einzigartig innerhalb der Schwärmer ist das Vermögen der Gattung, Laute von sich zu geben, erzeugt durch Luftsaugen mit dem Rüssel. Ein weiteres ungewöhnliches Merkmal ist das Eindringen in Bienenstöcke, um Honig zu «tanken». Der kurze Saugrüssel ist für das Nektarsaugen an Blüten ungeeignet, da zu dick. Hingegen ist er kräftig und punkto Länge exakt der Tiefe einer Bienenwabe angepasst. So kann er als Stachel verwendet werden, um die Deckelung einer verschlossenen Honigzelle aufzustechen und sie wie einen Trinkbecher (in 10 Sekunden!) zu leeren. Ein Falter vermag während seines 15-minütigen Aufenthalts im Bienenstock bis zu fünf Zellen leer zu trinken (Heinig 1978, Eis 2005).
Ausser in Appenzell Innerrhoden (AI) sind aus allen Kantonen der Schweiz Funde bei Info fauna – CSCF in den letzten 150 Jahren ab 1869 gemeldet worden.
Mangels Honigwaben stechen die Falter überreife Früchte oder Saftströme an Bruchstellen von geschlagenem Holz an (Beobachtung an gefällten Eichen, Eis 2005). Der Totenkopfschwärmer verfügt über ein Arsenal an Mechanismen, um sich im Bienenstock vor abwehrenden Bienen zu schützen (Eis 2005):
1. Flaches Voranschreiten mit Flügelschwirren (abschütteln bzw. Respektabstand schaffen),
2. Mit dem Rüssel pfeifende Geräusche erzeugen bzw. Zirpen (zwecks Hemmung der Angriffslust der Bienen),
3. Hohe Bienengiftverträglichkeit (experimentell nachgewiesen, Eis 2005),
4. Eine sehr feste, dichte und glatte Beschuppung (Heinig 1978), sowie
5. Ein Gemisch von Fettsäuren als chemische
«Tarnkappe» auf der Chitinhaut (Moritz et al. 1991).
Verhalten im Bienenstock
Im Schmetterlingsbuch steht (Lepidopterologen- Arbeitsgruppe 1997): «Forscher nehmen an, dass der zirpende Ton die Angriffslust der Bienen hemmen soll, wenn der Falter in einen Bienenstock eindringt. Ferner sondern die Männchen einen intensiven Geruch ab, der an getrocknete Pilze erinnert». Eis (2005) schildert aus seinem Filmexperiment: «Am Flugloch angekommen, schienen die Wächterbienen sehr nervös zu sein, doch hatte der mit den Flügeln vibrierende Falter keine Schwierigkeit an ihnen vorbei und sodann in den Bienenkorb zu gelangen. Dabei gab er manchmal zirpende Töne von sich. Wie ein eben gelandeter Hubschrauber sass er schliesslich auf den Waben, hielt die Bienen durch die Luftwirbel seiner Flügelvibration in Respektabstand, sodass sie in einem Kreis rund um den Falter sitzend zusehen mussten, wie dieser den Inhalt einiger Waben plünderte. Bienen, die in seine Nähe gelangten und versuchten, ihn an den Beinen zu fassen, wurden kurzerhand weggeschüttelt. Schliesslich gesättigt, kroch er zirpend durch das Gedränge der Bienen, die sich überhaupt nicht feindselig zu verhalten schienen. Der Falter verliess daraufhin den Bienenstock durch die Flugöffnung, durch die er hineingeschlüpft war. Er fand diesen Ausgang zielsicher, nachdem er sich immerhin mehrere Minuten zwischen den Waben aufgehalten hatte, und entschwirrte wohlbehalten und ohne auch nur von einer einzigen Biene gestochen worden zu sein.»
Es gibt Nachweise von Wachs überzogenen Totenkopffalterleichen, die in Bienenbeuten gelegentlich gefunden werden. Ob diese Schwärmer nach der Verköstigung an den Honigwaben vollgesogen zu dick waren und nicht mehr durch das enge Flugloch des Bienenstockes entweichen konnten?
Bedeutung des Totenkopfschwärmers
Zwar ist der Totenkopfschwärmer in der Schweiz weit verbreitet, aber seine sporadischen Besuche im Bienenstock scheinen kaum weder Bienenvolk noch Imkerei wirklich zu schädigen. Vielmehr muss das Tier Glück haben, nicht in Kontakt mit Pestiziden gegen Kartoffelkäfer und Pilze zu kommen. Und ob der Klimawandel und gehäufte Perioden ungünstiger Witterung einen nachhaltigen Einfluss haben, wird sich noch zeigen. Ansonsten ist die Art naturschützerisch im Moment nicht im Fokus, weil als Durchzügler an keinem besonderen Lebensraum gebunden. Hingegen sind seine speziellen Anpassungen als Honigliebhaber besonders bemerkenswert. Noch beschäftigen die Forscher Martin Wikelski und Myles Menz vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell und an der Universität Konstanz spezielle Fragen der Orientierung im Wanderverhalten (Bürki-Spycher H.-M. 2011 und 2019, siehe auch totenkopfschwaermer.ch).
Dank
Hans-Peter Wymann für viele praktische Anekdoten aus früheren Beobachtungen sowie das Belegexemplar des Naturhistorischen Museum Bern zum Fotografieren. Literaturhinweise sind auch Jürgen Hensle, Spezialist für Wanderfalter, sowie Hans-Martin Bürki-Spycher für die neusten Forschungshinweise und die Durchsicht zu verdanken, Yannick Chittaro für den Datenaus- zug aus der nationalen Beobachtungsdatenbank von Info fauna – CSCF, Jürg Sommerhalder und André Dunand für den Anstoss.
Francis Cordillot
(1) Bürki-Spycher H.-M. 2019: Der spektakuläre Flug der Falter
. Wissen. Zeitschrift Schweizer Familie 42: 24 – 30.
(2) Bürki-Spycher H.-M. 2011: Bote der Nacht . Wissen. Zeitschrift Schweizer Familie 40: 28 – 29.
(3) Eis R. 2005: Erfahrungen rund um das Verhalten des Totenkopfschwärmers Acherontiaatropos (Linné, 1758),
Lep.: Sphingidae. Wiss. Mitt. Niederösterr. Landesmuseum, St. Pölten, 17: 265 – 274.
(4) Heinig S. 1978: Der Totenkopfschwärmer (Acherontiaatro- pos,Lep.: Sphingidae) im Bienenstock. Entomologische Zeitschrift, Stuttgart. 88: 237 – 243.
(5) Lepidopterologen-Arbeitsgruppe 1997: Schmetterlinge und ihre Lebensräume. Arten – Gefährdung – Schutz. Schweiz und angrenzende Gebiete. Band 2. Hesperiidae, Psychidae, Hetero- gynidae, Zygaenidae, Syntomidae, Limacodidae, Drepanidae, Thyatiridae, Sphingidae. Pro Natura- Schweizerischer Bund für Naturschutz (Hrsg.): 679 S. .
(6) Moritz R. F. A., Kirchner W. H., Crewe R. M. 1991: Chemical camouflage of the Death’sheadhawkmoth (Acherontiaatropos
Eine Leiche aus einem Bienenstock, abgeflattert und voller Wachsschuppen (Fund K. Beyeler 2004 in Schwarzenburg BE, Sammlung NMBE). Bild: Francis Cordillot
L.) in honeybeecolonies. Naturwissenschaften 78: 179 – 182.
(7) Weidemann H.J., KöhlerJ. 1996: Nachtfalter – Spinner und Schwärmer. Naturbuchverlag, Augsburg: 512 S.
Derzeit fliegen Totenkopfschwärmer über die Alpen nach Afrika zum Überwintern. Einige von ihnen haben sich vorher in Bienenstöcken mit Honig vollgetankt.
Bild 2
Der Totenkopfschwärmer (Acherontia atropos L.) mit dem grössten Körpervolumen aller mitteleuropäischen Schmetterlinge,
seine Vorstadien als Puppe und Raupe