BEES – FOKUS
Angriff der Varroa-Milbe? Ein psychologischer Blick auf diese Weltanschauung
Text von Katharina Lehmann, Psychologin, Dr.phil.
Werden Mensch und Tier tatsächlich von Kleinstlebewesen angegriffen oder hat dies eher etwas mit der Projektion unverarbeiteter Ängste und einem tiefgreifenden Unverständnis der Komplexität der Natur zu tun?
Varroa-Milbe oder Corona-Virus, noch immer glaubt die Mehrheit der Bevölkerung an die damalige Behauptung von Pasteur, dass wir von Mikroorganismen angegriffen würden, welche bekämpft werden müssten. Die Wissenschaft spricht bereits seit dieser Zeit eine andere Sprache. Dieser vermeintliche Angriff ist eine reine Projektion individueller und kollektiver Ängste oder generell von Affekten auf äussere Umstände. Ein psychologischer Vorgang, welcher mit der Komplexität der Natur nicht viel zu tun hat. Mikroorganismen gab es schon lange vor unserer Zeit und sie bewohnten von Anfang an unsere Körper. Wir brauchen sie sogar zum Überleben. Sie stellen für uns Vitamine her, spalten Nahrung auf und räumen für uns den Dreck in Form von Säuren weg (Enders, 2019). Das Mikrobiom (die Gesamtheit der Mikroorganismen in unserem Körper) wiegt bei Erwachsenen über ein Kilo (Schaenzler & Beigel, 2020). Durch Pasteurs Theorie wurden Mikroorganismen regelrecht zu Übeltätern degradiert, indem sie für Seuchen und Krankheiten verantwortlich gemacht wurden und werden (Moritz, 1997). Dabei wurde und wird der Einfluss der Umwelt, des Systems, in welchem Mensch und Tier leben, massiv unterschätzt. In der Psychologie wird dies fundamentaler Attributionsfehler genannt. Dies führte bei Béchamp, ein Zeitgenosse von Pasteur, zur Feststellung: «die Mikrobe ist nichts, das Milieu ist alles» (Young, 2016). Béchamp, und nach ihm viele andere, konnten in wissenschaftlichen Experimenten zeigen, dass sich Art und Menge der Mikroorganismen in Abhängigkeit von ihrer Umwelt verändern. Dabei gibt es beispielsweise solche, die sich in einer säurehaltigen, sauerstoffarmen Umgebung wohlfühlen und andere, welche eine sauerstoffhaltige Umgebung brauchen. Mehr noch, es konnte auch gezeigt werden, dass Bakterien ihre Form verändern können, also pleomorph sind. Sie verändern sich je nach Milieu in Zellen oder auch zu Hefen und Pilzen und wieder zurück (Young, 2002). Auch die heutige Stressforschung zeigt, wie Krankheit und Gesundheit durch die Umwelt beeinflusst werden. Belastende Umstände, welche zu chronischen Stressreaktionen führen, schwächen mit der Zeit unser Immunsystem, wobei der Körper zuerst Adrenalin, später zusätzlich Kortisol und Schilddrüsenhormone ausschüttet. Adrenalin aktiviert dabei die Immunabwehr, durch Kortisol wird sie wieder gebremst, um überschiessende Immunreaktionen zu verhindern. Wird das Immunsystem also durch langandauernde Ausschüttung von Kortisol geschwächt, führt dies zu mehr Erkältungen und Grippen, neben weiteren Erkrankungen (Hüther, 2009; Porges, 2017; van der Kolk; 2016). Ständiges Schüren von Angst wie seit Monaten in der aktuellen sogenannten Corona-Krise, ist also genau das, was zu unterlassen ist, wenn man wirklich an Gesundheit interessiert ist.
Stressreaktionen führen ausserdem mit der Zeit zu Übersäuerung (Marktl, 2007) und zur Verflachung der Atmung, was zu einem latenten Sauerstoffmangel führt. Wird das Blut nicht mehr mit genügend Sauerstoff versorgt, können saure Abfallprodukte nicht mehr richtig abtransportiert werden. Sauerstoffmangel und ein erhöhter Glukosespiegel im Blut (Wirkung von Kortisol) überfordert ausserdem die Mitochondrien, wodurch die zelluläre Energiegewinnung erniedrigt wird und der Abbau von Glukose vermehrt über anaerobe Glykolyse stattfindet. Dabei entsteht Milchsäure als Abfallprodukt. Die Zellen übersäuern und Mikroorganismen, welche sich in ein einem solchen Milieu wohlfühlen, vermehren sich. Dadurch fällt das System aus dem Gleichgewicht und chronische Erkrankungen werden bei Menschen und Tieren begünstigt. Schlechte Ernährung, wenig Bewegung und Umweltgifte, resp. keine artgerechte Haltung bei Tieren, beschleunigen diesen Prozess zusätzlich.
Die Pharmaindustrie verdient mit Pasteur’s Behauptung Unsummen und hat deswegen natürlich kein Interesse daran, dass sich andere Erkenntnisse durchsetzen. Denn es ist viel lukrativer, verschiedenste Medikamente zu vermarkten, als gesunde Lebensbedingungen zu erhalten oder zu fördern. Trotzdem reicht dies nicht aus, um erklären zu können, weshalb sich die Erkenntnisse von Béchamp bis heute nicht durchgesetzt haben. Denn um diese Erkenntnisse verstehen zu können, braucht es ein vernetztes, systemisches Weltbild. Die heutige Gesellschaft ist jedoch nach wie vor in grossen Teilen durch ein mechanisches Weltbild geprägt, welches die Natur als Uhrwerk und das gesamte Universum als Riesen-
Maschine betrachtet, die in ihre Einzelteile zerlegt und je nach Bedarf wieder neu zusammen gebaut werden kann (Capra, 2004). Obwohl heute bekannt ist, dass ein solches Denken und Handeln enorme Folgekosten nach sich zieht, wie beispielsweise Umweltkatastrophen zeigen, ist ein systemisches Weltbild noch immer untervertreten.
Weshalb erfreut sich ein systemisches Weltbild also nicht grösserer Beliebtheit?
Der Umgang mit komplexen Systemen ist eine enorme Herausforderung für unsere gewohnten Denkmuster. V. Foerster (Foerster von & Pörksen, 2003) verwendet für komplexe soziale Systeme den Begriff einer nicht-trivialen Maschine. Im Gegensatz dazu lassen sich bei einer trivialen Maschine Ursache und Wirkung immer genau unterscheiden. Die inneren Zustände bleiben stets dieselben. Dies gibt ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit und genau darin sieht er den Grund für die Beliebtheit der trivialen Maschine und des linearen, mechanischen Weltbilds, im Gegensatz zu einem systemischen. Um nicht ohnmächtig vor komplexen Situationen zu stehen, tendieren wir dazu, die Welt zu vereinfachen, Kategorien und einfache Ursachen-Wirkungszusammenhänge zu bilden mit dem Ziel, überhaupt handlungsfähig zu werden (Stroebe et. al., 1992). Dies ist in der Regel im Alltag auch sinnvoll. Jedoch bei Eingriffen in komplexe Systeme wie in den Körper, in ein Bienenvolk oder bei Entscheidungen, die ganze Nationen betreffen, können solche Denkmuster massiven Schaden anrichten, da sie der Vernetzung dieser Systeme nicht gerecht werden. Während sich Auswirkungen von Eingriffen bei mechanischen Vorgängen meist unmittelbar zeigen, werden diese bei komplexen Systemen oft lange nicht bemerkt (Vester, 2002). Chronische Erkrankungen auf Grund von Übersäuerung zeigen sich häufig erst nach Jahrzenten, wenn der Körper bereits am Anschlag seiner Entgiftungs- und Bewältigungskapazität ist und es schon fast zu spät ist.
An Hand von Computersimulationen (1983; Dörner & Schaub, 1995; Funke, 1999), beispielsweise der Simulation von Entwicklungshilfe, konnten typische Fehler im Umgang mit Komplexität erforscht werden. Zu den häufigsten gehören mangelnde Zielerkennung, -balancierung, -konkretisierung, zu einfache Modelle, Übergeneralisierung, ausufernde Wissensanhäufung, reduktive Hypothesen, vernachlässigte Neben- und Fernwirkungen oder isolierte Entscheidungen, ohne die Gesamtsituation zu berücksichtigen. Dies wirkt erst einmal erschlagend, weil der Kapazität unseres Gehirns zur Informationsverarbeitung pro Zeiteinheit Grenzen gesetzt sind und Informationen im aktiven Gedächtnis dem Vergessen unterliegen. Zusätzlich wird unser Denken und Handeln durch Motive und Bedürfnisse bestimmt, wobei gerade beim Umgang mit komplexen Situationen das Kontrollmotiv zentral ist. Es gibt uns ein Gefühl von Sicherheit, damit wir nicht in Ohnmacht versinken. Zur Aufrechterhaltung der Kontrolle wird daher im Umgang mit Komplexität einiges unternommen, wie beispielsweise die Umdeutung von Misserfolgen oder ein stereotyper Einsatz bewährter Vorgehensweisen (Dörner & Buerschaper, 1997).
Durch systemische Methoden wie Computersimulationen oder Organisationsaufstellungen (Lehmann, 2006) lässt sich die Fähigkeit zum vernetzten, systemischen Denken fördern. Man sollte sich vermehrt darauf konzentrieren zu lernen, wie Muster oder das Ganze erkannt werden kann, ohne jedes Detail verstehen zu müssen. Es gilt also, neben den Bäumen, vermehrt den Wald zu erkennen (Ulrich, 2001).
Das Kontrollmotiv spielt auch bei der Projektion unverarbeiteter Affekte eine grosse Rolle. Wir haben es dann im Innern nicht mehr mit einem diffusen, bedrohlichen Unwohlsein zu tun, sondern mit einem klar definierten Feind im Aussen, zu dessen Bekämpfung wir Strategien entwickeln können. Dies gibt Sicherheit, auch wenn es sich bei diesem Feind bloss um Kleinstlebewesen handelt, die sich einfach ihrer Umwelt anpassen.
Auch die Schulmedizin ist bis heute durch ein lineares, mechanisches Weltbild geprägt, bei dem Körper, Psyche und Verstand als getrennt betrachtet werden. Der Körper ist der Feind, Schmerzen müssen bekämpft werden. Wird der Körper wie eine Maschine betrachtet, welche nach Bedarf repariert werden kann, bietet dies den Vorteil, dass damit die Tatsache ausgeblendet werden kann, dass er der Vergänglichkeit unterworfen ist, welche Krankheit, Alter und Tod beinhaltet. Der Köper ist ausserdem auch der Ort, wo abgespaltene Traumatisierungen gespeichert werden, welche sich dann häufig in psychosomatischen Erkrankungen spiegeln. Und wie Studien zeigen, sind Traumatisierungen in der Kindheit weit verbreitet (Felitti, 1998; Ruppert, 2018).
Damit wir zu einer Ganzheit von Körper, Seele und Geist gelangen können, welche die Entwicklung eines systemischen Weltbildes sehr erleichtert, müssen wir uns mit der Verletzlichkeit und Vergänglichkeit unseres Körpers aussöhnen und abgespaltene, traumatisierte Anteile wieder integrieren. Indem wir den Mut haben, uns diesem Schmerz
zu stellen, können wir nach und nach ein Bewusstsein verwirklichen, welches Ken Wilber (2008) die Kentauren-Ebene nennt. Der Kentaur, ein Fabelwesen, welches halb Mensch und halb Tier ist, hat beides zu einer Ganzheit integriert hat. Haben wir uns mit unserer vergänglichen, tierischen Natur ausgesöhnt, können von ihrer Weisheit profitieren und ganzheitlich erfassen, was für Natur und Tiere am besten ist, ob es sich dabei um Bienen, Kühe, Katzen oder Milben handelt.
Weiterführende Literatur
- Capra, F. (2004). Wendezeit. München: Knaur Taschenbuch Verlag.
- Dörner, D. (1983). Lohhausen. Bern: Hans Huber.
- Dörner, D. (1995). Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Reinbeck b. Hamburg: Rowolt Taschenbuch Verlag GmbH.
- Dörner, D., & Buerschaper, C. (1997). Denken und Handeln in komplexen Systemen. In H. Ahlemeyer & R. Königswieser (Eds.), Komplexität managen. Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH.
- Dörner, D., & Schaub, H. (1995). Handeln in Unbestimmtheit und Komplexität. Organisationsentwicklung, 14 (3), 34-47.
- Enders, G., (2019). Darm mit Charme. Berlin: Ullstein Buchverlage GmbH.
- Felitti, V.J. et al. (1998). The Adverse Childhood Experiences (ACE) Study. American Journal of Preventive Medicine,14 (4), 245-285.
- Foerster von, H., & Pörksen, B. (2003). Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme-Verlag.
- Funke, J. (1999). Komplexes Problemlösen -Ein Blick zurück und ein Blick nach vorne-. Psychologische Rundschau, 50 (4), 194-197.
- Hüther, G. (2009). Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
- Lehmann, K. (2006). Umgang mit komplexen Situationen. Perspektivenerweiterung durch Organisationsaufstellungen. Heidelberg: Carl-Auer Verlag.
- Marktl, W. (2007): Säure – Basen – Schlacken: Pro und Contra – eine wissenschaftliche Diskussion. Springer-Verlag.
- Moritz A. (1997). Timeless Secrets of Health and Rejuvenation. USA : Lightning Source, Inc.
- Porges, St. (2017). Die Polyvagal-Theorie. Lichtenau: G.P. Probst
- Ruppert, F. (2007). Seelische Spaltung und innere Heilung. Stuttgart: Klett-Cotta
- Ruppert, F. (2017). Wer bin ich in einer traumatisierten Gesellschaft? Stuttgart: Klett Cotta.
- Schaenzler, N., Beigel, F. (2020). Superorgan Mikrobiom. München: Gräfe und Unzer Verlag
- Stroebe, W., Hewstone, M., Codol, J.-P., & Stephenson, G. M. (1992). Sozialpsychologie. Berlin: Springer-Verlag.
- Ulrich, H. (2001). Systemorientiertes Management. Bern: Paul Haupt.
- Van der Kolk, B. (2016). Verkörperter Schrecken. Lichtenau: C.P. Probst Verlag
- Vester, F. (2002). Die Kunst vernetzt zu denken. München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG.
- Wilber, K. (2008). Wege zum Selbst. München: Arkana.
- Young, R. (2002). The pH Miracle. New York: Grand Central Publishing.
- Young, R. (2016). Who had their Finger on the Magic of Life – Antoine Béchamp or Louis Pasteur? International Journal of Vaccines and Vaccination, 2 (5).
Katharina Lehmann ist Psychologin, Dr.phil., arbeitet in eigener Praxis und ist daran, mit anderen zusammen eine Stiftung zu gründen, mit dem Ziel, eine nachhaltige, auf Kooperation basierende Gesellschaft aufzubauen (www.katharina-lehmann.ch).