Die Honigbiene wird auch in der Schweizer Hobbyimkerei als Nutztier ausgebeutet. Dies, obwohl die meisten Hobbyimker der Biene und Natur eigentlich etwas Gutes tun wollen. Vielen Imkern und Bienenfreunden ist nicht bewusst, wie negativ sich die konventionelle Haltungspraxis auf die Gesundheit der Biene auswirkt. FreeTheBees will neue Imkerinnen und Imker dazu bewegen, bestehende Imkermethoden zu hinterfragen und sich mit artgerechten, bienenfreundlichen Ansätzen vertraut zu machen. Nur so wird die Honigbiene für künftige Generationen erhalten bleiben.
Die Honigbiene: Ein erstaunlich robustes Tier
Honigbienen gibt es, gemäss wissenschaftlichen Belegen, seit mehr als 30 Millionen Jahren. Die Biene hat eine höchst erfolgreiche Evolution hinter sich. Während Jahrmillionen hat sie unzählige neue Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten und mehrere Klimawandel überlebt. Der Schlüssel zu ihrer Anpassungsfähigkeit liegt in der natürlichen Selektion: Was überlebt und folglich an die Natur angepasst ist, pflanzt sich fort. Alles andere geht ein.
Der Biene gelang es historisch nicht nur dem natürlichen, sondern auch dem menschlichen Druck zu widerstehen. Selbst die frühe Imkerei konnte der Biene nichts anhaben. Schon damals, als die Biene im Wald lebte, haben unsere Vorfahren Bienenvölkern den begehrten Honig und Wachs geraubt, was oft zum Hungertod führte. Aber anders als heute konnten natürliche populationsdynamische Prozesse den Verlust eines Volkes leicht ausgleichen. Ein verlorenes Bienenvolk wurde im nächsten Frühling mit einem neuen Bienenschwarm ersetzt.
Das Problem der intensiven Honigproduktion
In den letzten 200 Jahren ist dieses Gleichgewicht gekippt. Einerseits ist die Honigbiene als Wildtier fast ausgestorben. Andererseits begann der Mensch mit einer zunehmend intensiven Honigproduktion hart in natürliche Abläufe einzugreifen. Die Haltung der Honigbiene entwickelte sich immer weiter zugunsten der Erntemaximierung und auf Kosten der Biene selbst. Ihre Bedürfnisse spielten nur noch insofern eine Rolle, als sie die Fähigkeit, Honig zu produzieren, tangierten.
Schnell wurde das einstige wildlebende Waldtier zum drittwichtigsten Nutztier der Schweiz. Heute befindet sich fast die gesamte Schweizer Honigbienenpopulation in Imkerhänden. Aus der Natur ist die Biene fast verschwunden – und mit ihr die natürlichen Anpassungsfähigkeiten, Überlebenstriebe und Widerstandskräfte, mit denen sie die Umwälzungen der letzten Jahrmillionen gemeistert hat.
Imkerinnen und Imker auf der ganzen Welt bekommen die Folgen zu spüren. Viele ihrer Bienenvölker überleben den Winter nicht oder sterben im Jahresverlauf scheinbar aus dem Nichts. Die Ursachen dieses Massensterbens werden aber oft missverstanden: als Folge des Klimawandels, der aus Asien eingeschleppte Varroamilbe, bestimmter Pestizide. Wissenschaftliche Studien zeigen , dass dies zu kurzsichtig ist. Die hohen Winterverluste, die seuchenartige Ausbreitung von Parasiten und Krankheiten und der Verlust der eigenständigen Überlebensfähigkeit basieren auch auf unerwünschten Nebeneffekten einer ausbeuterischen Tierhaltung.
Nutztierhaltungspraktiken sind auch in der Hobbyimkerei weit verbreitet
Wir werfen einen Blick auf sechs schädliche Praktiken der ertragsgetriebenen, auf Honigmaximierung orientierte Massentierhaltung, die bis heute auch die Hobbyimkerei prägen.
1) Überrissene Produktionsziele
Um den hohen Honigproduktionszielen des Imkers nachzukommen, muss sich das Bienenvolk im Bienenkasten einer Reihe von produktionssteigernden Eingriffen unterziehen. Diese steuern das Schwärmen und das Brüten, also die Fortpflanzung, sodass das Volk seine ganze Energie und seine gesamten Ressourcen auf die Honigproduktion fokussiert.
In der Natur müsste das Honigbienenvolk gerade genug Honig für das eigene Überleben produzieren, verhungert aber in Realität nicht selten in vielen Teilen der Schweiz. Im Bienenkasten erzielt der Imker im Durchschnitt 20kg Honigertrag. Das ist nur möglich dank Methoden, die in der Vieh- und Geflügelzüchtung mittlerweile kritisiert werden, im Bienenkasten aber immer noch zur Tagesordnung gehören.
Gut zu wissen: Nicht die Menge des geernteten Honigs, sondern der Honigvorrat für die Biene ist entscheidend. Entweder, man überlässt das Volk der Natur und ist froh, wenn das Volk auf dem eigenen Honig selbst überwintern kann. Oder man beimkert das Volk, erntet im Durchschnitt gegen 20kg Honig und füttert zur Überlebenssicherung gegen 10kg Zuckerwasser zurück.
2) Unterdrückter Schwarmtrieb
Soll aus den Trachtzeiten im Frühling und im Sommer das Optimum an Honig herausgeholt werden, muss sich die Biene ausschliesslich der Honigproduktion widmen. Und nicht – wie es die Natur vorsieht, auch der Fortpflanzung. Mit verschiedenen Mitteln versucht der Imker speziell während der Haupttracht im Frühling das Schwärmen zu verhindern.
Ein bewährter Trick ist es, dem Bienenkasten einen leeren Honigraum aufzusetzen, damit das Volk schneller und mehr Nektar einlagern kann. So arbeiten die Bienen weiter und weiter und produzieren mehr und mehr Honig. Was den Imker freut, ist jedoch wie eine Kastration für das Bienenvolk.
Gut zu wissen: Der natürliche Schwarmtrieb ist eine höchst intelligente und reinigende Erfindung der Natur. Die künstliche Fortpflanzung, die notwendig wird, wenn der Schwarmtrieb unterbrochen ist, kann diesen Effekt aber niemals replizieren.
3) Ungesundes Raumklima
Im Innenraum der hübsch, nebeneinander gereihten, farbigen Bienenkästen steckt meist ein äusserst ungesundes Raumklima. Die Bauweise, Bemessung und Materialien der Beuten sind für die Honiggewinnung und Handhabbarkeit optimiert, aber nicht an die Bedürfnisse der Biene angepasst.
Was für den Imker bequem und effizient ist, birgt für die Biene grosse Gesundheitsrisiken. Denn traditionelle Bienenkisten sind unnatürlich gross, schlecht isoliert und lassen Feuchtigkeit nicht entweichen. Das sind ideale Bedingungen für Pilze, Keime und Parasitenpopulationen. Für Bienen ist es meist zu feucht und zu kalt.
Gut zu wissen: In der Natur sucht und wählt ein Bienenvolk sein Habitat nach sorgfältigen Kriterien aus. Die Baumhöhle bietet nach wie vor das beste Raumklima, die Bienen können darin mit wenig Energie das optimale Klima bilden, ähnlich wie wir Menschen in einem Minergie-Haus. Heute sind naturnahe Habitate erhältlich, die dieses Klima nachbilden und den Bienen ein gesundes Zuhause bieten.
4) Überlebensdruck
Da die Honigbiene Winterruhe hält, aber keinen Winterschlaf macht, muss das Volk sich genügend Winterreserven anlegen. Auch in der kältesten Winternacht ist es nötig, eine Kerntemperatur von rund 20 Grad zu halten.
Je grösser, feuchter und schlechter isoliert das Habitat, desto mehr Energie braucht es dafür. Da die Bedingungen im konventionellen Bienenkasten selten ideal sind, müssen die Bienen immens viel Energie und Arbeit einbringen, um den Bienenstock entsprechend bewohnen zu können – oft mehr Energie als sie haben.
Gut zu wissen: In der Baumhöhle profitieren Bienen von einem warmen und trockenen Klima. Sie setzen in ihrem natürlichen Habitat etwa 30–40 kg Bau- und Nährstoffe über das ganze Jahr um. Im Bienenkasten sind es bis zu 220 kg, als mindestens fünfmal mehr!
5) Dichtestress
In der freien Natur leben ungefähr 1–5 Bienenvölker pro Quadratkilometer. Der Imker hält aber locker mal 10 oder 20 Völker auf wenigen Quadratmetern in den neben- und übereinander gereihten Bienenkästen. Was idyllisch aussieht, ist jedoch eine Form von Massentierhaltung, die jeden Geflügelbetrieb mit Batteriehaltung in den Schatten stellt.
Mehr Honigbienen tragen nicht zum Erhalt der Art bei. Im Gegenteil: je höher die Anzahl imkerlich gehaltenen Honigbienen auf kleinem Raum, desto grösser das Risiko von Krankheitsübertragungen und desto grösser die Konkurrenz mit Wildbienen und anderen wichtigen Bestäubern.
Gut zu wissen: Eine diversifizierte Bienenhaltung und eine natürliche Bienendichte würde das ökologische Gleichgewicht begünstigen und positiv auf die Bienengesundheit einzahlen.
6) Systematische Mästung
Im imkerlichen Betrieb, wo dem Volk ein Grossteil des Honigs genommen wird, werden die Bienen mit Zuckersirup gefüttert. 10 kg Industriezucker pro Bienenvolk sind nicht unüblich, manchmal sind es mehr.
Dieses billige künstliche Futter ist jedoch ein schlechter Ersatz für Honig, da es nie das gleiche reichhaltige Spektrum an Makro- und Mikronährstoffen enthält. Was für den Imker praktisch und wirtschaftlich ist, führt zu unerwünschten Nebeneffekten an der Bienengesundheit.
Gut zu wissen: Der eigene Honig ist optimal zusammengesetzt, um das Immunsystem der Biene zu stärken und sie vor Krankheiten zu schützen.
Auch sanftere Ansätze wirken – aber sie sind noch zu wenig bekannt
Vielen Neuimkern ist nicht bewusst, dass die honigfokussierte Imkerei nicht die einzige Möglichkeit ist, Bienen zu halten. Dabei gibt es leicht anwendbare Methoden, die bessere Bedingungen für Honigbienen bieten und weniger auf künstliche Eingriffe angewiesen sind.
Die FREETHEBEES Imkermethodik lehrt und zeigt auf, dass eine Diversifizierung der Imkermethoden bereits zu einer positiven Veränderung in der Imkerei führen wird. Es geht nicht darum, eine einzige Methode durchzusetzen, sondern eine langfristige Perspektive einzunehmen und Alternativen zum heutigen Standard zu entwickeln. Die eine richtige Methodik gibt es leider nicht mehr. In erster Linie soll die Honigbiene für künftige Generationen erhalten bleiben. Zweitens müssen wir die Bestäubungsleistung sichern, die wirtschaftlich und ökologisch viel wichtiger ist als der Honig. Erst an dritter Stelle sollte die Honigproduktion stehen.
Noch können wir handeln und gemeinsam eine nachhaltigere Imkerei schaffen. Vor allem Hobbyimkerinnen und -imker, die aus Liebe und Faszination für das Tier zur Bienenhaltung gekommen sind, spielen dabei eine Schlüsselrolle. Mit ihrer Hilfe können wir die Honigbiene vor dem Aussterben bewahren und zum Schutz der heimischen Biodiversität beitragen.
Lesen Sie den Originaltext von André Wermelinger «Die Honigbiene: Als Nutztier ausgebeutet, als Wildtier kurz vor dem Aussterben» im Bulletin Sommer 2022.